Su juicio: El Salvador es un “país que ha perdido su moral”. Lo más grave: Este juicio no aparece como conclusión, sustentado en hechos, argumentos y análisis, sino como premisa, al principio del artículo. Puse “reportaje” entre comillas, porque esta nota no cumple con los requisitos de una investigación periodística. Extraño: Como estudiante, luego como joven periodista vi al SPIEGEL como ejemplo del periodismo investigativo.
Estos son personas con información privilegiada, debido a su involucramiento en el fenómeno a describir. Pero las únicas 2 fuentes de la nota son un oficial de la PNC y un pandillero convertido en “testigo criteriado”. Lo que es muy inusual: Fiscalía y PNC nunca antes han exhibido a sus “criteriados” a la prensa. Para romper esta norma deben haber tenido un especial interés en este “reportaje”. También para poner a uno de sus policías estrella de la unidad anti extorsión a plena disposición.
Así que los “insiders” y únicas fuentes del reportero fueron proporcionados por las autoridades. No es el mejor ejemplo de ejercicio de periodismo investigativo.
El “insider” policial llevó al periodista a Apopa. “Valle del Sol, es uno de los barrios mas peligrosos en las afueras de San Salvador, que es la ciudad más peligrosa del mundo”, nos cuenta el periodista, porque así se lo contó el policía. El policía agrega: “Si aquí me topo con miembros de la pandilla, ellos abrirán fuego.” Y se retiran… Falso. Alguien debería haberle explicado al corresponsal viajero que lo llevaron a la colonia menos peligrosa de Apopa. En Valle del Sol la pandilla local suele hacer lo posible para evitar enfrentamientos con la policía, resultado de su acuerdo con los liderazgos comunales de no poner en peligro a los habitantes y la relativa paz social alcanzada en esta colonia que hacer 6 años tuvo altos números de homicidios y extorsiones, pero desde el 2012 los ha logrado bajar drásticamente. Por esto a la PNC le gusta llevar a ahí a los reporteros, precisamente porque saben que pueden exhibir la agresividad de sus patrullajes – pero sin correr los riesgos que correrían en las colonias vecinas.
El reportero también trata de explicar el surgimiento de las pandillas en El Salvador: “Juntos con ex guerrilleros y ex soldados, unos 4 mil miembros deportados de ‘gangs’ de Estados Unidos formaron las pandillas en El Salvador.”
Otra vez, más mito que verdad. Muy pocos de los fundadores de las maras eran participantes de la guerra civil salvadoreña. Las maras son un fenómenos de la generación siguiente, no marcados por la guerra, sino por los errores políticos de la postguerra.
Y así sigue: Afirmaciones no fundamentadas sobre el involucramiento de las pandillas en el narcotráfico; sobre “70 mil asesinos” que andan sueltos en El Salvador. Siempre mitos que no resisten una investigación seria. Mucho aporta el “criteriado” que la PNC le proporciona al reportero para que pueda entrevistar a un pandillero de verdad. De esta plática salen sus concusiones: “Se trata de violencia por la violencia”; “La muerte es en Salvador como la comida diaria.”
¿Para qué sirve una investigación periodística que, basada en solo dos fuentes (un policía y su agente encubierto, un ex pandillero con 60 asesinatos encima), llega a conclusiones como esta (que tenemos 70 mil asesinos que ejercen la más cruel violencia solamente por deporte, y que todos vivimos con una pata en el cementerio)? ¿No es nuestra responsabilidad como reporteros explorar las causas; explicar el circulo vicioso entre marginación, delincuencia y represión; describir las cadenas de venganza?
No somos un país que ha perdido la moral, ni tampoco todos vivimos al borde de ser asesinados. Somos un país que lucha por superar la violencia, empezando por entender y atender sus raíces.
Bienvenido el periodismo que nos ayude.
Saludos,
Como
el artículo aquí citado no es accesible a quienes no tienen una
suscripción a DER SPIEGEL, lo reproducimos aquí en el original alemán.
El Salvador: Insiderreport über den Bandenkrieg
“Wir prüfen, wie jemand getötet werden soll”
“Wir prüfen, wie jemand getötet werden soll”
Mit
entsetzlicher Brutalität kämpfen Banden wie MS 13 oder Barrio 18 Sureños
um Drogen und Macht auf den Straßen von El Salvador. Hier berichten
Insider, welche Regeln dort herrschen. Von Fritz Schaap
und Christian Werner (Fotos)
23 noviembre 2018 / DER SPIEGEL
Je mehr Tote Johnny Flores sieht, desto mehr muss er anhäufen, in seinem garagengroßen Haus in den Ausläufern San Salvadors, der Hauptstadt El Salvadors.
Der 51-Jährige läuft in Unterwäsche zwischen den Stapeln und Anrichten voller Nippes umher. Ein gedrungener Mann, kräftig, das Haar schütter. Die Wände sind tapeziert mit Urkunden von religiösen Seminaren, Schulungen und Auszeichnungen, die alle seinen Namen tragen, als müsse er sich täglich daran erinnern, wer er ist, damit er nicht zerfällt in diesem Land, das seine Moral verloren hat.
Er nimmt eine Bibel vom Bett. Schlägt sie auf. Neues Testament, Brief des Paulus an die Römer, achtes Kapitel. Darüber wird er heute reden, denkt er sich. Über die Rettung der Glaubenden. Dann holt er seine Beretta 92 unter dem Kopfkissen hervor, legt die Pistole neben das gebügelte Hemd und zieht eine schwarze Hose an. Er lächelt. Sein Silberzahn funkelt.
Sonntage sind gute Tage für Johnny Flores, der sonst eine Spezialeinheit der Polizei leitet. Sonntags ist Johnny Flores Pastor.
Er greift Bibel und Beretta und fährt zu seiner evangelikalen Kirche. Sonntags, bei seiner Gemeinde, bei seinem Gott, hat Johnny Flores Ruhe. Niemand werde ihn hier töten, nicht in der Kirche, glaubt er. Dann steigt er hinauf auf die kleine Bühne, vor die Gemeinde.
“Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes”, zitiert er am Ende der Predigt aus dem Paulus-Brief.
Das Gesetz der Sünde und des Todes aber ist das mit der größten Gültigkeit auf den Straßen des Landes an der zentralamerikanischen Pazifikküste. Gerade einmal 6,4 Millionen Menschen leben hier, aber trotzdem werden jedes Jahr Tausende ermordet. 3952 waren es voriges Jahr offiziell. Bis Ende September dieses Jahres 2560. Das sind 9,4 Morde jeden Tag. Im vergangenen Jahr wurden zudem 1850 Vergewaltigungen angezeigt, nicht angezeigt werden viel mehr. In einem Land, so groß wie Hessen. Deshalb riskieren Tausende die Flucht nach Norden, in Richtung USA.
70 000 Gangmitglieder gibt es Schätzungen zufolge in El Salvador, die für den Großteil der Gewaltverbrechen verantwortlich sind. Organisiert sind sie in drei großen Gangs, den sogenannten Maras: MS 13, Barrio 18 Sureños und Barrio 18 Revolucionarios. 70 000 Mörder. Denn wer einer Gang beitreten will, muss töten. Der Tod ist in El Salvador, so sagen sie hier, wie das tägliche Essen, wie das Schlafengehen. So wie man sagt: Morgen werde ich meine Familie sehen, so denkt man hier: Morgen könnte ich sterben.
Am nächsten Mittag, nur 25 Autominuten von seiner Gemeinde entfernt, auf vom Regen der vergangenen Nacht noch immer rutschigen Wegen, stürmt Johnny Flores, gefolgt von fünf schwer bewaffneten Polizisten, ins Viertel Valle del Sol. Schweiß rinnt ihm von der Stirn, über die Wangen das Kinn hinunter, und tropft auf den Asphalt. Es ist zu ruhig.
Angst überkommt ihn, Angst wie eine leichte Übelkeit der Seele. Er atmet ruhig, wie ein Psychiater ihm das empfohlen hat. Die Wege sind leer, hinter den Gittern der Fenster schauen vereinzelt Frauen hervor. Regungslos. Valle del Sol ist eines der gefährlichsten Viertel in der Umgebung San Salvadors, einer der gefährlichsten Städte der Welt. “Wenn ich hier eine Gruppe Gangmitglieder treffe, dann schießen sie”, sagt Flores. Er bleibt kurz stehen, zieht die Beretta aus dem Holster.
Sergeant Johnny Flores führt die Anti-Schutzgeld-Einheit in Apopa, nördlich der Hauptstadt San Salvador. Seit 1986 ist er Polizist, als die Nationalpolizei noch der Armee unterstand und im Bürgerkrieg hauptsächlich für den Häuserkampf eingesetzt wurde. 1994 gründete er eine Ermittlungseinheit der neuen Nationalen Zivilpolizei. Zwei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, der zwölf Jahre gedauert und 75 000 Menschenleben gekostet hatte.
In gewissem Sinn aber hat der Krieg, in dem linke Guerilleros einen Aufstand gegen die von den USA gestützte Diktatur angeführt hatten, nie aufgehört. Denn kaum war ein Friedensabkommen unterzeichnet, schickten die USA Tausende Kriegsflüchtlinge zurück nach El Salvador. Zum Thema Visual Story über den Bandenkrieg in El Salvador “Ich wollte töten” In El Salvador herrscht ein brutaler Bandenkrieg. Unsere Reporter waren dort. Sehen Sie hier ihre Visual Story. Fritz Schaap und Christian Werner
Darunter Männer, die zuvor in US-Städten gelebt hatten, in denen Gangs die armen Viertel beherrschten. Die sich zusammengeschlossen hatten, um sich zu verteidigen. In Los Angeles hatten sie zwei Gruppen gebildet und sich die Namen gegeben, die die Salvadorianer heute ihrer Angst geben: Barrio 18 und Mara Salvatrucha 13.
Zusammen mit Ex-Guerilleros und Ex-Soldaten formten ungefähr 4000 abgeschobene Bandenmitglieder in El Salvador ihre eigenen Gangs, die Maras, nach dem Vorbild der Gangs von Los Angeles. Sie rekrutierten junge Männer, oft noch Kinder, und führten ihren in den USA begonnenen Krieg gegeneinander fort. Weiteten ihn aus gegen den Staat, gegen die Bürger.
Diesen Staat versucht Flores zusammenzuhalten. Flores, der auf Rat seines Psychiaters Boote, Flugzeuge und Autos aus Holzstäben baut, um sich selbst zusammenzuhalten, der Pastor geworden ist, um weiter Polizist sein zu können, und deswegen denkt, dass diese Gesellschaft nach Jahrzehnten der Gewalt so tief verletzt sei, dass es weit mehr brauche, um sie zu heilen, als Menschenhand zu tun vermag.
Flores läuft ein paar Treppen hinunter. Die Häuser sind einstöckig, rohe, übermalte Klinker, Wellblechdächer, Bananen wachsen zwischen den Häusern. Er sucht eine Gruppe junger Männer, die für Schutzgelderpressungen im Viertel verantwortlich sind. Er läuft an das Ende der Siedlung, dorthin, wo sie an eine Schlucht grenzt, in der ein Zufluss des Acelhuate rauscht. Wie eine Hängebrücke verläuft ein Rohr auf die gegenüberliegende Seite. “Hier sind sie geflüchtet”, sagt Flores. Auf der anderen Seite sind schemenhaft zwei Männer zwischen den Bäumen zu erkennen.
Neben dem Drogenverkauf sind Schutzgelderpressungen die Haupteinnahmequelle der Gangs. Ob Straßenhändler oder Unternehmer, jeder muss zahlen. Von fünf Dollar im Monat bis zu 50 000 Dollar. Wer nicht zahlt, stirbt.
Brutalität ist kein exklusiv salvadorianisches Problem. Im gesamten sogenannten Nördlichen Dreieck der Staaten El Salvador, Honduras und Guatemala gibt es Tötungsraten, die an Kriegsgebiete erinnern. Mexiko befindet sich de facto im Krieg gegen seine Drogenkartelle, und die befinden sich im Krieg untereinander.
Doch die Brutalität in El Salvador ist eine andere. Es geht hier nicht um Millionen Dollar. Die Drogen, die aus Südamerika kommen, werden nicht auf dem Landweg durch El Salvador in die USA gebracht. Es gibt hier keine lokalen Kartelle. Es geht nicht um ein größeres Stück vom Kuchen. Es geht um ein paar Krümel. Es geht um Gewalt um der Gewalt willen, um ein paar Hundert Dollar Schutzgeld, um Häuserblocks, an deren Ecken man Kokain und Meth verkaufen kann. Es geht um Macht, aber vor allem geht es um Anerkennung. Und Anerkennung wird bei den Gangs von El Salvador in Morden gemessen.
Flores bricht die Suche ab. Die Gang hier hat seit Kurzem M16-Sturmgewehre. Es ist ihm zu riskant. Die Polizisten fahren zurück nach Apopa. Das Leben auf den Straßen wirkt normal. Ganz San Salvador wirkt normal: amerikanische Fast-Food-Ketten, Staus, Märkte, Shoppingmalls. Es ist ein bizarres Merkmal dieses Bandenkriegs, dass extreme Brutalität inmitten des normalen Alltags stattfindet.
Natürlich sei es gut, sagt Flores im Auto, dass die Mordzahlen sinken, weil seit 2016 Polizei und Militär wieder härter gegen die Gangs vorgehen. Seit versucht wird, die Kommunikation mit den Bossen in den notorisch überfüllten Gefängnissen zu kappen. 2016 waren es noch 5280 Morde. 1328 mehr als im vergangenen Jahr.
Immer wieder gibt es Absprachen zwischen Politikern und Gangs, gerade vor Wahlen, wenn niedrige Mordraten gebraucht werden. Im Februar wählt El Salvador einen neuen Präsidenten.
“Aber es gibt so viele geheime Friedhöfe, Leichen, die in Brunnen geworfen werden, die verschwinden”, sagt Flores. “Morde, für die es keine Zeugen gibt, von denen wir nie erfahren.” Am Abend sitzt Johnny Flores hinter seinem Schreibtisch im Revier in Apopa. Er schaut die Nachrichten. Gestern gab es nur sechs Morde im ganzen Land. Dann rollt ein Pick-up-Truck mit verdunkelten Scheiben auf das Gelände. Der “Criteriado”, Flores’ Kronzeuge. El Sparky, wie der Mann sich derzeit nennt. Ein Massenmörder, der 69 andere Mörder verrät und dessen Aussagen zu 515 neuen Verfahren geführt haben. El Sparky, der süchtig ist nach Töten, der die Sinnlosigkeit in all dem nicht zu sehen vermag, weil die Gang, das Töten, für ihn das einzig Sinnvolle ist.
“Die Criteriados verraten ihre Gang. Liefern uns alle aus, die sie kennen. Legen uns die Hierarchien der einzelnen ‘Clicas’ dar, die Strukturen, die Morde, die sie begangen haben, wo, mit welchen Waffen, wo die Leichen liegen. Wenn sich das alles als wahr herausstellt, sind sie frei”, sagt Flores, als er in den schwülen Abend hinaustritt. Am Horizont türmen sich Gewitterwolken auf.
“El Sparky war ein Anführer, ein ‘Palabrero’. Er kannte die Strukturen der gesamten Gang.” Er ist, so ungern Flores das zugibt, einer seiner wichtigsten Männer. Ein Mann, der mehr als hundert Menschen abgeschlachtet hat. Flores schaut auf den Pick-up, aus dem ein bulliger, aufgedunsener Mann aussteigt, die Arme und Schultern voller Tätowierungen.
El Sparky und Johnny Flores gehen hinein. Johnny sieht müde aus. Manchmal greift er reflexartig ans Holster. Wie um zu prüfen, ob die Beretta noch da ist. Sie reden über die Männer im Valle del Sol.
Später sitzt El Sparky auf dem Hof und raucht. Die Augen klein, das Vokabular schwer vom Slang und vom Crack.
El Sparky war ein Palabrero der Barrio 18 Revolucionarios. Er hat sich hochgearbeitet, Mord um Mord. Er ist stolz darauf.
2003, mit 15, tritt er der Gang bei. Er verkauft Snacks auf der Straße, Wasser, Chips, kleine Dinge, mit denen er wenig Geld verdient. Aber er verkauft diese Sachen ein paar Straßen entfernt vom Haus seiner Eltern – im MS-13-Territorium. Gangmitglieder rauben ihn aus, schlagen ihn, immer wieder. Sie versuchen, ihn umzubringen, weil dort, wo er herkommt, die gegnerische Gang Barrio 18 herrscht. “Ich trat dann Barrio 18 bei, damit ich mich rächen kann, damit ich die Jungs von MS-13 umbringen kann”, sagt er. “Und damit die Leute Respekt vor mir haben.”
An einem Donnerstag um drei Uhr nachmittags muss dann in einem vollen Bus in San Salvador ein Junge sterben, damit El Sparky der Gang beitreten kann. Das Opfer ist Mitglied der MS 13 und hat El Sparky ausgeraubt. Es ist vielleicht so alt wie er.
Wenn El Sparkys Erzählung stimmt, dann nimmt er nun ein Messer mit 15 Zentimeter langer Klinge und wartet an einer Straßenecke. Er weiß, wo sein Opfer wohnt. Er wartet, bis der Junge in einen Bus steigt. El Sparky geht hinterher. Dann zückt er das Messer und sticht ihm in den Bauch. Sechsmal. Danach steigt er aus und geht in das Haus des Ganganführers.
Vier Männer gehen mit ihm in den Hof, sie schlagen ihn zusammen. Es ist der Initiationsritus. 18 Sekunden dauert er bei Barrio 18. 13 Sekunden bei MS 13. Manchmal stirbt jemand dabei. Nach 18 Sekunden umarmen die Männer El Sparky. Er ist jetzt einer von ihnen. “Ich fühlte mich großartig”, sagt er. Von Anfang an war El Sparky ein “Sicario”, ein Auftragskiller: “Ich fing als Mörder an, weil ich deswegen der Gang beigetreten war: Ich wollte töten.”
Töten, sagt er, sei nicht schwer, wenn man es wirklich wolle. “Es wird zu einer Sucht, wie Saufen. Wenn du trinkst und merkst, du magst es, trinkst du weiter. Manche töten nicht gern, die probieren es aus, und dann machen sie es nicht noch mal.” Die Art und Weise, wie getötet wird, werde angepasst.
“Wir prüfen, wie jemand getötet werden soll. Wenn es ernst ist, schlachten wir ihn ab. Ist es ein leichteres Vergehen, jagen wir ihm eine Kugel in den Kopf.”
Wenn es ernst war, wie Sparky das nennt, entfernte er lebenden Männern die Augen, schnitt ihnen Finger, Zunge und Ohren ab, dann Arme und Beine, und wenn sie noch lebten, schnitt er ihnen den Bauch auf. Wenn nicht, dann trotzdem.
Manchmal legte er anschließend die Flasche hinein, die er bei der Arbeit geleert hatte, manchmal schob er sie auch dem noch lebenden Opfer in eine Körperöffnung. Dann verscharrte er die Leichen oder warf sie in Brunnen. Oder er ließ sie liegen. Je nachdem, welche Nachricht damit überbracht werden sollte.
So ist ein Wettbewerb entstanden. Die Gangs wollen sich in Grausamkeit überbieten. Denn Grausamkeit sorgt für Respekt. Häutungen, Frauen, denen in die Vagina geschossen wird, Zerstückelungen, Vergewaltigungen während der Hinrichtung: Normalität hier. Manchmal reißen sie ihren Opfern das Herz aus der Brust.
“Jede Gang”, sagt El Sparky, “will ganz Salvador kontrollieren. Aber nur die Irresten mit den dicksten Eiern werden sich durchsetzen.” Und hier, wo es wenig Perspektiven gibt, werden dicke Eier zur Währung. Denn Geld machen nur die wenigen Gangmitglieder, die in den Waffen- oder Drogenhandel eingestiegen sind. Eine Gang ist eine Gruppe von Freunden, eine Ersatzfamilie. Viele Gangmitglieder sind bitterarm. Es geht darum, den anderen etwas zu beweisen.
“Man tritt bei, um seine Nachbarschaft zu verteidigen. Man erwartet kein Geld. Wenn du nützlich bist, bekommst du etwas vom Geld der Gang, wenn nicht …”, er formt die Hand zu einer Pistole und lächelt. “Es heißt: entweder töten oder getötet werden. Als Gangmitglied hast du nicht viele Optionen”, sagt er.
Es ist schwer zu verstehen, was hier passiert. Man kann versuchen, den politischen Kontext zu erklären. Die Zusammenbrüche der Militärregimes und der Guerillaarmeen in Zentralamerika hinterließen Lagerhallen voller Waffen sowie Soldaten, die keinen Sold mehr bekamen. Die entstehenden Demokratien waren schwach, ihre Politiker korrupt. Die internationale Gemeinschaft forcierte die Schaffung von freien Märkten, sie schaute auf Wahlen, aber übersah, wie instabil die Rechtssysteme waren und dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wurde.
“Das alles würde nur aufhören, wenn alle Gangmitglieder umgebracht würden. Aber, ehrlich gesagt, du kannst die Gangs nicht auslöschen”, sagt El Sparky. “Du bringst heute drei oder vier um, aber morgen treten wieder zehn bei.”
El Sparky weiß, dass es auch für ihn nie aufhören wird. Nach einem Streit setzten seine eigenen Bosse vier Killer auf ihn an. Sie lauerten ihm auf der Straße auf. El Sparky hatte sein amerikanisches Sturmgewehr dabei. Mit vier Magazinen. Einen der Killer erschoss er, dann floh er, tauchte unter. Schließlich ging er zur Polizei. Mehr aus Rache als aus Hoffnung auf ein langes Leben. Er hätte zwar gern ein friedliches Leben und einen Job. Aber er weiß auch, dass sie ihn umbringen werden, bei der ersten Chance, die sie bekommen. Und er weiß nicht genau, wie das funktioniert – ein friedliches Leben.
Niemand kann eine Gang lebend verlassen. Der einzige Weg in eine Art Ruhestand ist, einer Kirche beizutreten und derart überzeugend ein gläubiges Leben zu führen, dass die anderen Gangmitglieder den Wandel ernst nehmen. Das geht manchmal gut, in letzter Zeit aber immer seltener. “Viele Männer haben das als einfachen Ausweg genutzt. Deswegen haben wir angefangen, sie umzubringen”, sagt El Sparky. “Wenn du drin bist, dann heißt es: bis dass der Tod uns scheidet!” Dann fahren zwei Polizisten ihren Kronzeugen El Sparky zurück in ein gesichertes Versteck.
Es gibt viele wie El Sparky. Und das Schlimmste ist: Sparky sticht noch nicht einmal heraus. Der Polizist und Priester Flores weiß das. Es ist einer der Gründe, warum Flores Gott braucht. Warum er mehr braucht als einen Psychiater. Weil es so viele sind, weil es nie aufhört.
“Wir leben in einem irregulären Krieg”, sagt Flores. Es ist eine neue Form des Krieges, noch nicht ganz Bürgerkrieg, aber doch weit mehr als reguläre Gewalt. Die Grenzen verwischen hier: Auch Polizisten formen mittlerweile Todesschwadronen. Nach Dienstschluss ziehen sie durch Ganggebiete und töten. Damit werden sie selbst zu so etwas wie einer Gang. Johnny Flores aber will das Gesetz nicht aufgeben.
“Die Kirche und mein anderes Ich, der Pastor, helfen mir, im Umgang mit den Gangs auch die Menschen zu sehen, ihre Rechte. Die Menschen zu sehen, die Familie haben und Fehler machen.” Johnny geht wieder hinein. Leichter Regen trommelt auf das Wellblechdach. “Viele Polizisten tun das nicht mehr.” Viele Polizisten, so sagen sie auf den Revieren der Hauptstadt, verlassen das Land, weil ihre Familie bedroht wird, weil sie selbst bedroht werden.
Johnny Flores zieht die Uniform aus und legt sie in seinen Spind. Die Uniform lässt er immer im Revier. Die Gangs in seinem Viertel wissen nicht, dass er Polizist ist. Nach Dienstschluss trägt Flores wieder den Anzug des Pastors. Er spielt Gitarre, wenige Straßen von seinem Haus entfernt auf dem Geburtstag eines Mädchens. Ein paar Kinder sitzen einige Häuser weiter. Sogenannte Antenas, Spitzel der Gangs.
Ein Mann kommt aus dem Haus, in dem die Kinder feiern. Setzt sich. Schaut hinüber zu den Antenas. “Für die, die nicht reich sind, sind die Gangs immer da”, sagt er. “Mit viel Glück klopfen sie nie an deine Tür. Aber man muss immer mit ihnen rechnen.”
Die Polizei mache ihren Job, sagt der Mann. Die Fahnder kämen, wenn sie gerufen würden. “Sie brechen Türen auf, sie stürmen Häuser. Dann verschwinden sie wieder. Aber wir müssen hierbleiben.” Die Antenas schauen herüber, rauchen.
“Das ist das Problem”, sagt ein anderer Mann, “denn Gangs verschwinden nicht. Sie sind Teil der Viertel. Sie sind Söhne und Töchter von Frauen aus der Nachbarschaft. Die Gangs sind Teile El Salvadors. Sie sind Teile der Straßen wie der Bordstein dort.” Johnny Flores nickt.